Kündigungsschutz bei Schwerbehinderung auch in den ersten 6 Monaten

Vor Ausspruch einer Kündigung während der sogenannten Wartezeit muss der Arbeitgeber zunächst das gesetzlich vorgesehene Präventionsverfahren durchführen und gegebenenfalls zusammen mit der Schwerbehindertenvertretung und dem Integrationsamt ausloten, ob eine Weiterbeschäftigung mit Präventionsmaßnahmen doch noch möglich ist, entschied das Arbeitsgericht Köln in einem am Dienstag, 20. Februar 2024, bekanntgegebenen Urteil (Az.: 18 Ca 3954/23). Hier geht es zu dem veröffentlichten Urteil

Damit gaben die Kölner Arbeitsrichter dem mit einem Grad der Behinderung von 80 schwerbehinderten Kläger recht. Anspruch gilt auch während der Wartezeit

Das Arbeitsgericht stellte mit Urteil vom 20. Dezember 2023 fest, dass die Kündigung den Kläger wegen seiner Schwerbehinderung diskriminiere und deshalb unwirksam sei, denn der Arbeitgeber ist seinen Pflichten gem. 167 Abs. 1 SGB IX nicht nachgekommen. 

Fazit: Arbeitgeber sollten gerade den § 167 Abs. 1 nicht aus den Augen verlieren, was häufig oder sogar meistens geschieht. 

Kündigungsschutz für schwerbehinderte Menschen erweitert

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat jetzt festgestellt, dass die Kündigung von Arbeitnehmer*innen mit Schwerbehinderung auch in der Probezeit nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig ist (Urt. v. 10.2.2022, Az. C-485/20 HR Rail). Das Urteil führt dazu, dass Arbeitgeber*innen künftig schon bei einer Probezeitkündigung von Arbeitnehmer*innen mit Schwerbehinderung prüfen müssen, ob eine Beschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz möglich ist. Hier geht es zum Urteil

Kündigung unwirksam, wenn Maßnahmen des SGB IX nicht angewendet werden

Auch wenn eine Arbeitnehmerin schon über Jahre hinweg mit ihrer negativen Ausstrahlung, ihrer missglückten und teilweise aggressiven Kommunikation und ihrem herrischen Verhalten gegenüber gleichrangigen Kolleginnen und Kollegen das Betriebsklima vergiftet hat oder haben soll, hat die Arbeitgeberin grundsätzlich mildere Mittel, insbesondere das Erfordernis einer Abmahnung, die Kommunikationswerkzeuge der Organisationsentwicklung sowie die im SGB IX vorgesehenen Maßnahmen zu prüfen und anzuwenden, bevor sie gegenüber der schwerbehinderten Mitarbeiterin eine Kündigung ausspricht.

Unwirksame Kündigung eines schwerbehinderten Beschäftigten 

Landes­ar­beits­ge­richt Köln, Urteil vom 22. April 2021 – 6 Sa 790/20 Quelle. Juris

Anspruch auf behinderungsgerechten Arbeitsplatz

Sicherheitsaspekte rechtfertigen keine Kündigung eines Menschen mit körperlicher Behinderung.

Auch dann nicht, wenn ein eventuelles Evakuierungsszenario besteht.

Vor allem dann nicht, wenn der Arbeitgeber nicht die ihm obliegenden Verpflichtungen aus § 3a Abs. 2 ArbStättV und § 10 ArbSchG zur barrierefreien Gestaltung von Arbeitsplätzen erfüllt hat.

LAG Hessen, Urteil vom 21.01.2020, Az: 15 Sa 449/19

Integrationsamt muss auch bei teilweiser Erwerbsminderung zustimmen

Erfordernis einer Zustimmung des Integrationsamtes zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen aufgrund auflösender Bedingung bei teilweiser Erwerbsminderung

Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohne Kündigung aufgrund des Eintritts einer teilweisen Erwerbsminderung erfordert bei einem schwerbehinderten oder ihm gleichgestellten Menschen nach § 92 (Neu: 175)  S. 1 SGB IX die vorherige Zustimmung des Integrationsamts.

Voraussetzung ist, dass beim Zugang der schriftlichen Unterrichtung des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber über den Eintritt der auflösenden Bedingung die Anerkennung der Schwerbehinderung oder die Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen erfolgt ist oder die entsprechende Antragstellung mindestens drei Wochen zurückliegt.

BAG, Urteil vom 16.1.2018 – 7 AZR 622/15

Außerordentliche Kündigung eines unkündbaren Arbeitnehmers

  1. Wird einem tariflich unkündbaren Arbeitnehmer dauerhaft unmöglich, seine bisherige Tätigkeit (infolge Arbeitsunfähigkeit) auszuüben, so kann das regelmäßig allenfalls eine außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist rechtfertigen.
    (Rn.38) a) Dabei können auch vom Arbeitnehmer nicht zu vertretende Umstände in seiner Person geeignet sein, eine außerordentliche fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Ein wichtiger Grund kann vorliegen, wenn der Arbeitnehmer auf Grund von Umständen, die in seiner Sphäre liegen, zu der nach dem Vertrag vorausgesetzten Arbeitsleistung auf unabsehbare Dauer nicht mehr in der Lage ist. Darin liegt regelmäßig eine schwere und dauerhafte Störung des vertraglichen Austauschverhältnisses, der der Arbeitgeber, wenn keine anderen Beschäftigungsmöglichkeiten bestehen, mit einer außerordentlichen Kündigung begegnen kann. Liegt eine dauerhafte Leistungsunfähigkeit vor, kann dies den Arbeitgeber bei tariflichem Ausschluss der ordentlichen Kündbarkeit des Arbeitnehmers jedenfalls zum Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung mit einer der ordentlichen Kündigung entsprechenden Auslauffrist berechtigen (BAG 26.11.2009 – 2 AZR 272/08 – Rn. 24, BAGE 132, 299).
  2. Ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung setzt dabei ferner voraus, dass im gesamten Zuständigkeitsbereich des Vertragsarbeitgebers zum Kündigungszeitpunkt und in absehbarer Zeit keine Möglichkeiten zur anderweitigen Beschäftigung bestehen.
    (Rn.51) So ist der Arbeitgeber auch bei dauernder Unmöglichkeit, den ordentlich unkündbaren Arbeitnehmer in seinem bisherigen Tätigkeitsbereich zu beschäftigen, erst dann zur Kündigung berechtigt, wenn das aus der persönlichen Sphäre des Arbeitnehmers resultierende Hindernis nicht nur seiner Weiterbeschäftigung am bisherigen Arbeitsplatz, sondern auch einer Beschäftigung an anderer Stelle entgegensteht (so schon Senat 30. Mai 1978 – 2 AZR 630/76). Dies gilt bei allen Arten von Kündigungsgründen (Senat 6. Oktober 2005 – 2 AZR 280/04 – Rn. 33).

LAG Rheinland-Pfalz v. 11.7.2017, 8 Sa 23/17

Versetzung in den Ruhestand - Integrationsamt

Die Versetzung eines Dienstordnungsangestellten in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit bedarf keiner Zustimmung des Integrationsamtes. § 92Satz 1 SGB IX ist insoweit nicht analog anzuwenden.

           

BAG, Urteil vom 24. 5. 2012 - 6 AZR 679/10 

           

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 23. September 2010 - 5 Sa 737/10 - aufgehoben.

 

Das Landesarbeitsgericht durfte der Klage nicht wegen der fehlenden Zustimmung des

Integrationsamtes zur Versetzung des Klägers in den Ruhestand stattgeben. Eine Zustimmung oder auch nur eine Beteiligung des Integrationsamtes vor der Versetzung eines Dienstordnungsangestellten in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit ist nicht erforderlich.

 

§ 92 Satz 1 SGB IX erfasst die Versetzung eines Dienstordnungsangestellten in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit nicht. Die Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit unterscheidet sich von den Voraussetzungen, dem und von den Rechtsfolgen her grundlegend von den in § 92 Satz 1 SGB IX aufgeführten Versicherungsfällen. Insbesondere wird das Dienstverhältnis eines Dienstordnungsangestellten durch die Versetzung in den Ruhestand nicht endgültig beendet, sondern kann unter den Voraussetzungen des § 29 Abs. 1 BeamtStG bei Wiederherstellung der Dienstfähigkeit reaktiviert werden.

 

Anmerkung der Redaktion: Da bisher die irrige Meinung herrschte die Entscheidung aus Düsseldorf ist auch für Beamte anwendbar, dürfte nun klargestellt sein, dass § 92 SGB IX für Beamte nicht angewendet werden kann.

Zustimmung des Integrationsamtes auch bei teilweiser Erwerbsminderungsrente notwendig

Vorherige Zustimmung des Integrationsamtes auch bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch auflösende Bedingung notwendig (hier: Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung)

Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 09.02.2011 – Aktenzeichen: 7 AZR 221/10;

Personenbedingte Kündigung - häufige Erkrankung

Arbeitgeber muss Schäden durch häufige Erkrankungen vor personenbedingter Kündigung konkret beziffern!

Ein Arbeitgeber kann eine personenbedingte Kündigung nur mit den Krankheitszeiten und den daraus resultierenden Entgeltfortzahlungskosten begründen, wenn die Kosten außergewöhnlich hoch sind. Das geht aus einem Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm hervor.

Landesarbeitsgericht Hamm - Urteil vom 15.04.2011 - Aktenzeichen: 13 Sa 1939/10

Krankheitsbedingte Kündigung - Schlaganfall

Beruht die längere Erkrankung eines Arbeitnehmers auf einem einmaligen Schicksalsschlag (wie in diesem Beispiel: Schlaganfall), so erhöhen sich regelmäßig die Anforderungen an eine krankheitsbedingte Kündigung im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung

Landesarbeitsgericht Köln - Urteil vom 31.03.2011 - Aktenzeichen: 6 Sa 1433/10

Persönlichkeit - kündigen, wenn sie schwierig ist?

Schwierige Persönlichkeit ist kein Kündigungsgrund

...selbst dann nicht, wenn es sich um eine akzentuierte Persönlichkeit mit paranoiden und narzistischen Anteilen handelt,so das Landesarbeitsgericht Hamm (LAG Hamm, Urteil vom 24.01.2008, Aktenzeichen 15 Sa 876/07).

Privates am Arbeitsplatz erledigt - keine fristlose Entlassung

Die Erledigung privater Angelegenheiten während der Arbeitszeit rechtfertigt nicht ohne weiteres gleich eine fristlose Kündigung. Das entschied das Landesarbeitsgericht (LAG) Rheinland- Pfalz in Mainz in einem am Montag bekannt gewordenen Urteil. Nach Meinung des Gerichts verletzt ein Arbeitnehmer in diesem Fall zwar seine arbeitsvertraglichen Pflichten. Dennoch sei erst einmal eine erfolglose Abmahnung erforderlich, bevor der Arbeitgeber kündigen dürfe (Urteil vom 10.7.2008 - Aktenzeichen 10 Sa 209/08).

Annahmeverzug - Beschäftigungsmöglichkeit

Der Vergütungsanspruch eines Arbeitnehmers entfällt, wenn

  • der Zeitraum für die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall abgelaufen ist und
  • der Arbeitnehmer aus gesundheitlichen Gründen weiterhin nicht in der Lage ist, die vertragsgemäße Arbeit zu erbringen.

Bundesarbeitsgericht - Urteil vom 27. August 2008 - Aktenzeichen: 5 AZR 16/08 -Vorinstanz: Hessisches Landesarbeitsgericht - Urteil vom 10. Mai 2007 - Aktenzeichen: 11/19 Sa 1217/06

Klagefrist - Kündigung schwerbehinderter Arbeitnehmer

Klagefrist beginnt erst nach der Zustimmung des Integrationsamtes

Bundesarbeitsgericht - Urteil vom 13. Februar 2008 - Aktenzeichen: 2 AZR 864/06

Rufbereitschaft - Nicht am Wochenende - Kündigung? Kündigung wegen der Weigerung, an Wochenenden Rufbereitschaft zu leisten

Nach einer Entscheidung des Hessischen Landesarbeitsgerichts ist eine ordentliche Kündigung wegen der Weigerung eines Mitarbeiters, an Wochenenden Rufbereitschaft zu leisten, unwirksam, wenn es an einer entsprechenden arbeitsvertraglichen oder kollektivrechtlichen Verpflichtung zur Ableistung solcher Dienste fehlt.

Hessisches Landesarbeitsgericht - Urteil vom 06.11.007 - Aktenzeichen: 12 Sa 1606/06

Nebentätigkeit - Wann darf fristlos gekündigt werden

Einer Ihrer Mitarbeiter hat nebenbei noch eine andere Tätigkeit und verschweigt Ihnen das. Das ist gerade in der Gastronomie-Branche keine Seltenheit. Müssen Sie das dulden oder dürfen Sie ihm deshalb kündigen? Eventuell sogar fristlos? Eine Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Köln (Urteil vom 25.9.2006, Az. 14 Sa 658/06) gibt die Antwort

Landesarbeitsgericht Köln - Urteil vom 25.9.2006 - Aktenzeichen: 14 Sa 658/06

Krankmeldung - Beweispflicht beim Arbeitgeber

Erkrankt einer Ihrer Mitarbeiter, so dass er arbeitsunfähig ist, dann muss er Ihnen dies unverzüglich mitteilen. Tut er das nicht, können Sie ihn abmahnen und im Einzelfall sogar fristlos entlassen.

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz - Urteil vom 08.08.2006 - Aktenzeichen: 2 Sa 76/06

Gleichstellung - Sonderkündigungsschutz während laufendem Verfahren

Der Sonderkündigungsschutz für schwerbehinderte Menschen findet auch dann Anwendung, wenn die Schwerbehinderteneigenschaft zum Zeitpunkt der Kündigung während eines laufenden Gleichstellungsverfahrens bei der Arbeitsagentur noch nicht festgestellt ist.

Arbeitsgericht Pforzheim - Urteil vom 23.02.2005 - Aktenzeichen: 5 Ca 348/04

Auch wiederholte Erkrankungen sind nicht ohne weiteres ein Kündigungsgrund.

Vielmehr müsse der Arbeitgeber nachweisen, dass auch mit weiteren Erkrankungen des Mitarbeiters zu rechnen sei und dies zu nachhaltigen negativen Auswirkungen auf die wirtschaftliche Lage des Unternehmens führe.

Landesarbeitsgericht Mainz - Aktenzeichen: 7 Sa 447/04