BEM und Krankengeld

Krankenkasse muss eingreifen  - neue Regelung so gut wie unbekannt!!!!

 

Eine neue Vorschrift im Sozialgesetzbuch V (§ 44 Abs. 4 SGB V) regelt, dass die gesetzliche Krankenversicherung auf betroffene Erkrankte aktiv zugehen und beraten muss, damit die Sicherung der Beschäftigung und/oder des Arbeitsplatzes gelingt.

Der Beratungsauftrag erstreckt sich auf Hilfen zur Erlangung der Arbeitsfähigkeit wie: Feststellung des individuellen Eingliederungsbedarfs (Hinweise an den Arbeitgeber), rechtzeitige Reha-Maßnahmen und-Anträge, Suche nach geeigneten ortsnahen Leistungserbringern, Anstoß einer Stufenweise Wiedereingliederung (Hamburger Modell), Arbeitsplatzbezug und mögliche betriebliche Maßnahmen etc.

Diese Neuregelung, versteckt im GKV-Versorgungsstärkungsgesetz von 2015, kann positive Wirkung entfalten, wenn sie bekannt ist, angemessen praktiziert wird und auch von den Betriebs- und Personalräten angemahnt oder propagiert wird.

• Sie können Erkrankte im BEM entsprechende Hinweise geben, dass sie Anspruch auf (Rehe-)Beratung und Unterstützung durch die gesetzliche Krankenkasse haben.
• Und sie sollten den Arbeitgeber darauf hinweisen, dass die Informationsschriften für BEM-Betroffene um die Beratungspflicht der Krankenkassen ergänzt werden müssen.
• Der Arbeitgeber sollte wissen, dass die gesetzlichen Krankenkassen aktiv werden und das BEM unterstützen müssen.

Quelle: Gute Arbeit, 5/2016 (S. 36-39)

  Gesetztestext

§ 44 Krankengeld

 4) Versicherte haben Anspruch auf individuelle Beratung und Hilfestellung durch die Krankenkasse, welche Leistungen und unterstützende Angebote zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit erforderlich sind. Maßnahmen nach Satz 1 und die dazu erforderliche Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten dürfen nur mit schriftlicher Einwilligung und nach vorheriger schriftlicher Information des Versicherten erfolgen. Die Einwilligung kann jederzeit schriftlich widerrufen werden. Die Krankenkassen dürfen ihre Aufgaben nach Satz 1 an die in § 35 des Ersten Buches genannten Stellen übertragen. Das Bundesministerium für Gesundheit legt dem Deutschen Bundestag bis zum 31. Dezember 2018 einen Bericht über die Umsetzung des Anspruchs auf individuelle Beratung und Hilfestellung durch die Krankenkassen nach diesem Absatz

 

Begründung der Bundesregierung zu § 44 Abs. 4

 

Zu Nummer 13 (§ 44)

Die Krankenversicherung als Solidargemeinschaft hat die Aufgabe, die Gesundheit der Versicherten zu erhalten, wiederherzustellen oder ihren Gesundheitszustand zu verbessern. Die Versicherten haben unter anderem durch aktive Mitwirkung an Krankenbehandlung und Rehabilitation dazu beizutragen, die Folgen von Krankheit zu überwinden. Dabei haben die Krankenkassen den Versicherten durch Aufklärung, Beratung und Leistungen zu helfen (vgl. § 1).

 

Versicherte, die Krankengeld beziehen, haben regelmäßig eine länger andauernde Krankheit zu überwinden und oft einen erheblichen Beratungs- und Unterstützungsbedarf, der im konkreten Einzelfall über bloße Auskünfte oder allgemeine Beratung hinausgehen kann. In der Versorgung von Versicherten, die über einen längeren Zeitraum arbeitsunfähig sind, bestehen jedoch häufig Schwierigkeiten bei der zielgerichteten und angemessenen Unterstützung zur Überwindung der Krankheit. Diese Bedürfnisse werden künftig durch einen spezifischen Anspruch gegenüber den Krankenkassen auf individuelle Beratung und Hilfestellung durch die Krankenkassen aufgefangen. Neben der Verbesserung der Versorgungsqualität und der Versorgungskontinuität wird auch die Wirtschaftlichkeit des Gesamtversorgungssystems durch Vermeidung von Fehl-, Unter- und Überversorgung gesteigert.

Die individuelle Beratung und Hilfestellung durch die Krankenkassen endet dort, wo die Krankenkasse den MDK einschalten muss, insbesondere bei der Prüfung von Maßnahmen zur Sicherung des Behandlungserfolgs, wie der Einleitung von Maßnahmen der Leistungsträger für die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit oder wenn Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit bestehen (§ 275 Absatz 1 Nummer 3 Buchstabe a und b). Die Krankenkassen dürfen deshalb im Rahmen des Absatzes 4 – neu – keine zusätzlichen Daten erheben, um Anfangszweifel an der Arbeitsunfähigkeit auszuräumen oder zu bestätigen. Denn es obliegt allein dem MDK im Rahmen der ihm nach § 275 zugewiesenen Aufgaben Zweifel an einer Arbeitsunfähigkeit zu beseitigen und hierbei ggf. Daten (§ 276 Absatz 2) zu erheben.

Die Inanspruchnahme des Leistungsangebots ist freiwillig, insbesondere hat die Ablehnung der Einwilligung in die Datenerhebung, -verarbeitung und -nutzung keine leistungsrechtlichen Konsequenzen. Zur Umsetzung sollen qualifizierte Krankenkassenmitarbeiter eingesetzt werden, deren Aufgabe darin besteht, den individuellen Bedarf des Versicherten festzustellen sowie die passgenauen Leistungen zur Überwindung der Krankheit und ihrer Folgen im Einzelfall zusammenzustellen und zu sichern. Die Krankenkasse stellt den Leistungsbedarf fest und begleitet dessen Umsetzung insbesondere durch die Suche nach geeigneten ortsnahen Leistungserbringern, die entsprechenden Kontaktvermittlungen, die Suche nach Maßnahmen zur Erleichterung des vollen oder stufenweisen Wiedereinstiegs in das Berufsleben. Grundsätzlich haben die Krankenkassen die Aufgabe der individuellen Beratung und Hilfestellung selbst wahrzunehmen. Sofern jedoch die Aufgabenwahrnehmung durch eine andere Stelle wirtschaftlicher ist, es im wohlverstandenen Interesse der Betroffenen liegt und Rechte der Versicherten nicht beeinträchtigt werden, kann dieKrankenkasse diese Aufgabe an eine in § 35 Absatz 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) genannte Stelle übertragen, insbesondere an andere Leistungsträger und ihre Verbände. Eine Übertragung an private Dritte ist damit ausgeschlossen.

Die Umsetzung des Anspruchs aus Absatz 4 Satz 1 berührt auch Fragen des Sozialdatenschutzes, da – gegebenenfalls auch in der Zusammenarbeit mit anderen Leistungsträgern und Leistungserbringern – sensible medizinische Daten und sonstige Einzelangaben über persönliche und sachliche Verhältnisse des Betroffenen erhoben, verarbeitet und genutzt werden. Zur Wahrung des Rechts der Versicherten auf informationelle Selbstbestimmung wird deshalb klargestellt, dass kein Zwang auf den arbeitsunfähigen Versicherten ausgeübt werden darf, die Beratungs- und Hilfestellungsleistungen wahrzunehmen und deren Ablehnung keine leistungsrechtlichen Auswirkungen hat. Die für die Durchführung der jeweiligen Maßnahme erforderlichen personenbezogenen Daten dürfen nur dann von der Krankenkasse erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn der Versicherte auf Grundlage einer umfassenden Information durch die Krankenkasse hierin einwilligt. Die Einwilligung und die vorherige Information haben schriftlich zu erfolgen. Die Information muss den Versicherten umfassend über Inhalt und Ziele der Leistungen nach Absatz 4 Satz 1, die Freiwilligkeit ihrer Annahme und die damit verbundene erforderliche Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung seiner personenbezogenen Daten und insbesondere darüber, zu welchem Zweck und zur Erfüllung welcher Aufgabe die Krankenkasse im Rahmen der Erforderlichkeit Befunddaten erheben, verarbeiten oder nutzen darf, aufklären.

Somit darf die Krankenkasse auf Grundlage der erteilten Einwilligung des Versicherten die für die Zwecke der individuellen Beratung und Hilfestellung erforderlichen personenbezogenen Daten des Versicherten erheben, verarbeiten und nutzen.

Die individuelle Beratung und Hilfestellung wird die Krankenkasse vornehmlich auf diejenigen Sozialdaten stützen können, die ihr zum Zeitpunkt des Beginns der individuellen Beratung und Hilfestellung beispielsweise von den Leistungserbringern nach §§ 295, 301 bereits übermittelt vorliegen. Sofern die Krankenkasse zu diesem Zweck und zu diesem Zeitpunkt weitere personenbezogene Daten benötigt, hat sie auch hierzu den Versicherten um Einwilligung zu bitten. Dabei ist zwischen solchen personenbezogenen Daten zu unterscheiden, die der Krankenkasse aufgrund der gesetzlichen Regelungen des Sozialgesetzbuches ohnehin auch ohne Einwilligung des Versicherten zu übermitteln sein werden – wenn auch zu einem späteren Zeitpunkt – und solchen personenbezogenen Daten, die ihr zu diesem Zweck überhaupt nur aufgrund einer Einwilligung des Versicherten übermittelt werden dürfen. Letztere personenbezogenen Daten hat die Krankenkasse in der schriftlichen Information für den Versicherten gesondert hervorzuheben. Es ist auszuschließen, dass eine Übermittlung von Sozialdaten zwischen Krankenkasse und Arbeitgeber des Versicherten stattfindet. Außerdem ist der Versicherte darüber zu informieren, dass er seine Einwilligung jederzeit schriftlich widerrufen kann. Im Falle des Widerrufs sind die auf Grundlage der Einwilligung bei der Krankenkasse gespeicherten personenbezogenen Daten nach § 84 Absatz 2 SGB X unverzüglich zu löschen.